Workshop der Philosophiestudierenden

Irgendwann haben wir uns gefragt, für wen wir Studis eigentlich unsere Texte schreiben – denn manchmal fühlt es sich so an, als würden sie nicht weiter als bis zu den Schubladen unserer Dozierenden kommen.

Um zu zeigen, dass dies nicht so sein muss, haben wir diesen Workshop organisiert – hier wollten wir Studierenden vom ersten Semester bis kurz vor Ende der Promotion die Möglichkeit bieten, ihre eigenen Ideen vor anderen Studis zu präsentieren und Feedback, sowohl auf den Inhalt, als auch auf ihr Auftreten und ihre Vortragsweise, zu bekommen.

Über einen Call for Papers haben wir alle Philosophiestudierenden der Uni Konstanz eingeladen, uns ihre Ideen zu schicken. Herausgekommen ist das vorliegende Programm.

Wir hoffen, mit diesem Workshop mehr Studierende ermutigt zu haben, ihre Arbeiten eben nicht nur für die Dozierenden, sondern für ein größeres Publikum zu schreiben und so bereits im Studium ein wenig die philosophische Arbeitsatmosphäre kennenzulernen.

Der nächste Studi-Workshop?

Alle Infos zu weiteren Studi-Workshops findet ihr in Zukunft hier.
Wenn ihr jetzt schon wisst, dass ihr unbedingt einmal eure Arbeiten in einem solchen Rahmen präsentieren wollt,
schreibt uns eine E-Mail!

Studi-Workshop SoSe 2018

Der erste Workshop der Philosophiestudierenden der Uni Konstanz fand am 3. September 2018 statt. Wir haben vier interessante Vorträge gehört und diskutiert.

Wir bedanken uns bei allen Vortragenden, Diskutierenden und dem Orga-Team des Workshops!

Nachfolgend könnt ihr die Abstracts der gehaltenen Vorträge einsehen, um ein Bild davon zu bekommen, welche Themen uns beschäftigt haben.

Ilona Wüst: Warum wir den Begriff des Bösen nicht aufgeben müssen

Die Verwendung des Begriffs „böse“ ist in vielerlei Hinsicht äußerst umstritten. In meinem Vortrag soll es daher um die Frage gehen, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, den Begriff „böse“ als Teil unseres moralischen Vokabulars zu verwenden oder ob er besser abgeschafft werden sollte.
In der jüngeren Forschung gibt es eine (kleine) Bewegung von PhilosophInnen, die argumentieren, dass das Konzept des Bösen besonders schwierig ist und wir es deshalb aus unserem Sprachgebrauch entfernen sollten. VertreterInnen des sogenannten Evil‐Scepticism glauben, dass alle Phänomene oder Personen, die typischerweise als „böse“ bezeichnet werden, ebenso adäquat mit Hilfe anderer moralischer Konzepte – wie richtig und falsch oder gut und schlecht – beschrieben werden können.

In meinem Vortrag werde ich hauptsächlich auf Argumente von Phillip Cole, dem wahrscheinlich prominentesten Vertreter des Evil‐Scepticism, zu sprechen kommen. Cole zeichnet im Wesentlichen drei Argumente, die seinen Evil‐Scepticism stützen sollen:
(1) Die Idee des Bösen ist ein mythologisches Konzept, das nur in bestimmten Narrativen eine spezifische Rolle spielt, im sonstigen Sprachgebrauch jedoch nichts zu suchen hat.

(2) Dem Begriff des Bösen fehlt Erklärungskraft. Für das Verständnis entsetzlicher Taten oder schrecklicher Akteure müssen die sozialen, psychologischen oder historischen Bedingungen erklärt werden. Die Verwendung des Begriffs „böse“ hingegen erklärt nichts davon.

(3) Die Verwendung des Begriffs „böse“ ist in höchstem Maße gefährlich und unmenschlich.

Die Argumente, die laut Cole dafür sprechen, den Begriff des Bösen abzuschaffen, sind kognitivistischer Natur. Ich möchte dafür argumentieren, dass es mindestens eine Hinsicht gibt, die dafür spricht, dass wir den Begriff des Bösen nicht abschaffen müssen: indem wir den Begriff „böse“ nämlich expressivistisch auffassen und ihn somit nicht als ein Mittel sehen, mit dessen Hilfe etwas über den Wahrheitswert des Urteils ausgesagt wird, sondern mit dem Abneigung gegenüber einem Phänomen oder Akteur ausgedrückt wird.

David Pomerenke: Eine Schlichtung des Streits um die Verteilungs‐Gerechtigkeit

Zwei klassische Positionen in der Ethik, die heutige Rechtssysteme maßgeblich beeinflussen, sind der Utilitarismus und die Deontologie. Grob gesagt legt dabei der Utilitarismus den Fokus auf das Gesamtwohl der Gesellschaft und die Deontologie auf die Rechte der einzelnen Bürgerinnen. Ich möchte diese zwei Positionen innerhalb des Bereichs der politischen Philosophie betrachten. Dort gehen mit den Positionen konkrete Forderungen einher, wie wirtschaftliche Güter am besten unter den Bürgerinnen eines Staates aufgeteilt werden sollten.

Außerdem werden im Bereich der politischen Philosophie die beiden Positionen als kompatibel mit der vertragstheoretischen Tradition angesehen. John Rawls – einer der wirkmächtigsten Philosophielehrenden des zwanzigsten Jahrhunderts – setzt sich auf der Grundlage einer deontologischen Argumentation für einen starken Sozialstaat ein, der sich zum Ziel setzt, das Leben der schwächsten Bürgerinnen zu verbessern. Sein akademischer Gegner ist der Spieltheoretiker und Ökonomik‐Nobelpreisträger John Harsanyi; er sieht die Aufgabe des Staates darin, die durchschnittliche Zufriedenheit der Bürgerinnen zu verbessern, statt nur die der schwächsten.

Ich möchte aber dafür argumentieren, dass die beiden, obwohl sie sich ein halbes Jahrhundert lang in Journalen gestritten haben, eigentlich dieselbe moderate Position vertreten. Grundlage für diese Argumentation werden einige Annahmen über das Verhalten von Menschen sein, die beide Autoren außer Acht gelassen haben.

Falls die Teilnehmenden meine Argumentation innerhalb der politischen Philosophie überzeugend finden, können wir uns auch der Frage widmen, ob es nicht generell so ist, dass sich Utilitarismus und Deontologie wenig unterscheiden. Wenn wir diese Frage mit einem Ja beantworten könnten, dann hätten wir ein großes philosophisches Problem als Scheinproblem enttarnt.

Aaron Baur: Die Methode von Gedankenexperimenten. Sind Gedankenexperimente apriorische Einsichten in die Natur oder aber Argumente?

Gedankenexperimente („thought experiments“) sind zumeist kontrafaktische oder hypothetische Situationen, mithilfe derer man für etwas Bestimmtes argumentieren, eine Position klarmachen oder etwas zeigen will, etc. Wie der Name bereits sagt, könnte man denken, dass beim „gedankenexperimentieren“ ein Widerspruch begangen wird, denn wie kann ein Experiment im Kopf ausgeführt werden?

Experimente zeichnen sich (zumeist) dadurch aus, dass der Experimentierende bei ihnen etwas Neues über die Natur erfährt, wobei die Natur dem Experimentierenden Widerstände aufzeigt. Das alles geht nur durch Erfahrung. Ein Gedankenexperiment findet nun aber rein im Kopf statt und derjenige, welcher ein GE ausführt, findet keinen „Widerstand durch die Natur“ vor (allenfalls durch logische Gesetze). Der Experimentierende kann sich bei Gedankenexperimenten allerhand kontrafaktische Situationen vorstellen, z.B. dass
ihn ein böser Dämon täuscht und er so denkt, dass 2 + 2 = 5 ist.

Wie kann man nun neues Wissen erlangen, ohne in die Natur zu blicken?
Der Grund, warum ich dies alles benenne ist, dass ich damit auf einige epistemische Problem von Gedankenexperimenten aufmerksam machen will. Zunächst einmal, ob uns Gedankenexperiment tatsächlich neues Wissen vermitteln und wie genau hierbei neues Wissen vermittelt wird.

Besonders interessant und aktuell ist die Debatte zwischen Brown und Norton. Brown vertritt die sogenannte „platonistische“ Position, bei der er davon ausgeht, dass (einige) Gedankenexperimente zur Einsicht in neue Naturgesetze verhelfen können und das (einige) Gedankenexperimente von apriorischer Natur sind (keine logischen Wahrheiten), da beim gedankenexperimentieren „nur“ nachgedacht wird und das weit über die bekannten empirischen Daten hinausgehen kann. Brown argumentiert hier mithilfe von Introspektion, Wahrnehmung und dem mathematischen Platonismus.

Norton hingegen vertritt die „argument view“. Hierbei wird gesagt, dass jedes Gedankenexperiment rekonstruierbar ist durch ein Argument (Deduktion, Induktion). Gedankenexperimente sind laut Norton einfach Argumente, welche in einer anschaulichen oder narrativen Form dargestellt werden. Daraus folgt, dass Gedankenexperimente in epistemologischer Hinsicht nicht mehr können als Argumente.

Eva Popp: Fremdbezügliche Scham und Mit‐Empfinden

Die philosophische Literatur diskutiert Scham als selbstbezügliche Emotion. Demnach beruht Scham auf der Wahrnehmung entweder bei der Umsetzung selbstrelevanter Werte gescheitert zu sein (‚selbstbestimmte Scham‘) oder sozial relevante Normen verletzt zu haben (‚fremdbestimmte Scham‘).

In beiden Fällen wird Scham durch die Wahrnehmung der eigenen Person (Ich), den Selbstbezug, hervorgerufen. Selbstbezug scheint jedoch nicht in allen Fällen von Scham von Bedeutung. In Fällen von fremdbezüglicher Scham ein Du Scham in mir hervor.

Ich werde zunächst vier verschiedene Formen von fremdbezüglicher Scham besprechen:

  1. übertragene Scham (contagious shame), hervorgerufen durch meine Wahrnehmung Deiner Scham;
  2. beziehungsbasierter Scham (association‐based shame), hervorgerufen durch meine Wahrnehmung einer Beziehung zwischen mir und dem sich schamvoll verhaltenden Du;
  3. projizierte Scham (projected shame), hervorgerufen durch meine Vorstellung mich an Stelle eines sich schamvoll verhaltenden Du zu befinden;
  4. vorgebliche Scham (pretended shame), hervorgerufen durch mein Hineinversetzen in ein sich schamvoll verhaltendes Du.

Diese vier Formen sind schwache Formen von fremdbezüglicher Scham. Zwar spielt in allen vier Formen ein Du eine zentrale Rolle, jedoch ist fraglich, ob die Verletzung Deiner Werte oder der für Dich relevanten Normen meine Scham hervorruft oder ob meine Scham auf der Verletzung meiner Werte oder der für mich relevanten Normen basiert.

Ausgehend von der Annahme, dass es ein Mit‐Empfinden gibt, das auf fremdgerichteten Emotionen basiert, stelle ich eine fünfte Form von fremdbezüglicher Scham vor, die von diesem Einwand nicht betroffen scheint:

Mit‐Empfinden kann mich dazu veranlassen, Scham auch in Situationen zu empfinden, in
denen weder meine Werte, noch für mich relevante Normen verletzt sind. Mitempfindende Scham (compassionate shame) ist möglich durch ein Zusammenwirken von positiven fremdgerichteten Emotionen für ein schamempfindendes Du und einem Rückgriff auf selbstbezügliche Schamerfahrungen. Meine selbstrelevanten Werte und für mich relevante Normen sind für mitempfindende Scham von nachrangiger Bedeutung.