Kontrafaktische Gedankenexperimente zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, ca. 1880 – 1930

Termin: Fr., 19. – Sa., 20.04.13

Ort: Bischofsvilla (Kulturwissenschaftliches Kolleg, Exc 16), Otto-Adam-Str. 5, 78467 Konstanz

Um Anmeldung wird gebeten!

Kontakt: Dr. Johannes Schmitt (johannes.schmitt@uni-konstanz.de)

Was heißt es denn nun aber, wenn wir von mehreren ‚Möglichkeiten‘ sprechen [ …] ? Es bedeutet zunächst die Schaffung – von sagen wir ruhig: – Phantasiebildern durch Absehen von einem oder mehreren der [ …] Bestandteile der ‚Wirklichkeit‘ und durch die denkende Konstruktion eines [ …] abgeänderten Hergangs. [ …][ I] n der ‚Tatsache‘ steckt eben, mit Goethe zu reden, ‚Theorie‘. (Weber 1922, 215-290, 275) [Hervorhebung im Original]

Wie hier der Ausspruch Max Webers und darüberhinaus die Arbeiten Ernst Machs Über Gedankenexperimente (1897/1905) deutlich zeigen, findet im ausgehenden 19. Jahrhundert eine bemerkenswerte Entwicklung statt, die die methodisch heterogenen Natur- und Geisteswissenschaften in einem entscheidenden Punkt zusammenbringt: im Plädoyer für den Gebrauch von kontrafaktischen Gedankenexperimenten. Diese spezielle Art der Erkenntnismöglichkeit wurde von der bisherigen Forschung meist durch die naturwissenschaftlich-physikalische Lupe und vor dem Hintergrund der klassischen Dichotomie von Erklären und Verstehen betrachtet. Angesichts eines zunehmenden wissenschaftshistorischen und literaturwissenschaftlichen Interesses an Kontrafaktizität, Gedankenexperimenten und Alternativgeschichten rückt der geplante Workshop die diskursive und praktische Rekonstruktion dieses Phänomens dezidiert in den Mittelpunkt.

Der Workshop verfolgt mehrere Ziele. Zum einen soll die intensive Diskussion ausloten, inwieweit dieser junge, bislang unterrepräsentierte Ansatz einen dritten Weg zwischen Erklären und Verstehen darstellt. Des Weiteren wird zu erörtern sein, wie historisch die Trennlinie zwischen Gedanken- und realen Experimenten gezogen wurde. Ähnlich zentral sind Fragen nach dem strukturellen und narrativen Charakter von Gedankenexperimenten, ihrem Bezug zum Erkenntnissubjekt sowie dem Vorwurf der willkürlichen Fiktion von Bedingungsverhältnissen. Indem der Workshop das Konzept des kontrafaktischen Gedankenexperiments wissenschaftshistorisch kontextualisiert und zu zeitgenössischen Diskursen (u. a. Recht, Literatur, Öknomie, Pädagogik) in Beziehung setzt, wird ein nahezu unerforschter Themenkomplex der aktuellen Wissensgeschichte anhand prominenter Beispiele adressiert.

Program

Freitag, 19. April 2013
14:30 – 14:45 Bernhard Kleeberg, Allgemeine Einleitung
14:45 – 16:15 Julian Bauer, Kann man lernen, mit Gedanken zu experimentieren? Ernst Machs Vorstellungen des Gedankenexperiments im Kontext der zeitgenössischen Pädagogik

Karin Krauthausen, Kommentar

16:15 – 16:30 Kaffeepause
16:30 – 18:00 Monika Wulz, Gedankenexperimente und ökonomischer Überschuss. Wissenschaft und Ökonomie bei Ernst Mach

Michael Heidelberger, Kommentar

Samstag, 20. April 2013
09:00 – 10:30 Paul Ziche / Thomas Müller, Fictions and Foundations: Hans Vaihinger, Moritz Pasch and the Fictional Foundations of Rigorous Science

Marcel Weber, Kommentar

10:30 – 12:00 Florian Ernst, Adäquate Verursachung und Idealtypen. Weber und Kries im Dialog

Daniel Suber, Kommentar

12:00 – 12:30 Mittagspause mit Imbiss
12:30 – 14:00 Natasha Grigorian, Malthusian Thought Experiments in Vladimir Odoevsky’s Russian Nights

Jurij Murasov, Kommentar

14:00 – 15:30 Abschlussdiskussion